Dienstag, 07 Februar 2012 18:31

Arbeitsgruppe im Portrait: Cultex GmbH Empfehlung

InVitroJobs stellt regelmäßig Wissenschaftler und ihre innovativen Forschungen als „Arbeitsgruppe im Portrait“ vor. Im Fokus stehen neu entwickelte Methoden, ihre Evaluation sowie der Ausblick, welche tierexperimentellen Versuchsansätze gemäß dem 3R-Prinzip (reduce, refine, replace) nach Möglichkeit reduziert und bestenfalls ersetzt werden können. Wir stellen an dieser Stelle das Unternehmen Cultex Laboratories GmbH aus Hannover vor.

 
Arbeitsgruppe im Portrait: Cultex GmbH


In unserer vierten Ausgabe stellen wir das Unternehmen Cultex Laboratories GmbH aus Hannover vor. Das Unternehmen befasst sich mit in vitro-Methoden zur Untersuchung der Wirkung von Aerosolen. Die Cultex Laboratories GmbH wurde im Jahr 2007 von der Biologin Prof. Dr. Michaela Aufderheide und dem Arzt und Pathologen Prof. Dr. med. Drs. h.c. Ulrich Mohr gegründet. Beide Wissenschaftler waren zuvor jahrelang an der Medizinischen Hochschule Hannover am Institut für Experimentelle Pathologie und nachfolgend am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin Hannover (ehemals Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Aerosolforschung) u. a. als Abteilungsleiter bzw. Institutsdirektor tätig.




Arbeitsgruppe der Cultex GmbH. Hintere Reihe, zweite von links: Mitgründerin Prof. Dr. Aufderheide
Foto: Cultex Laboratories GmbH

Mit der Neugründung konnten sich die Wissenschaftler den Traum eines Labors verwirklichen, in dem die eigenen Ideen und Forschungsziele umgesetzt werden können. Die passenden Räumlichkeiten fanden sich im Medical Park Hannover, wo mittlerweile eine Laborfläche von über 600 Quadratmetern belegt werden kann. Dementsprechend hat sich auch die Zahl der Mitarbeiter von anfänglich sechs auf inzwischen elf erhöht. Neben fünf Wissenschaftlern, inklusive der Geschäftsleitung, unterstützen sechs weitere technische Mitarbeiter das Labor.

Die Forschungsaktivitäten teilen sich in zwei Schwerpunkte auf:
1. in die Entwicklung von Zellmodellen aus Zellen des menschlichen Respirationstraktes und
2. in die Untersuchungen zur Wirkung luftgetragener Stoffe (Aerosole).

Für die dafür nötigen sogenannten Expositionsstudien, in denen die gezüchteten Zellen den Aerosolen ausgesetzt werden, haben die Wissenschaftler eine spezielle Vorrichtung entwickelt, das CULTEX® Radial Flow System (CULTEX® RFS). Es ist eine Weiterentwicklung ihrer CULTEX® Glasmodule. Das neue Gerät stellt ein Präzisionsinstrument dar, das den hohen Materialanfor-derungen im Hinblick auf die Verträglichkeit für zelluläre Systeme und den aerosolphysikalischen Bedingungen für eine reproduzierbare und stabile Aerosol-Exposition Rechnung trägt.




Experimentalaufbau  mit dem CULTEX Radial Flow System für die Exposition mit Partikel-haltigen Atmospären.
Foto: Cultex Laboratories GmbH



Experimentalaufbau  mit dem CULTEX Radial Flow System für die Exposition mit Zigarettenrauch.
Foto: Cultex Laboratories GmbH




Bronchialepithelzellen des Menschen, isoliert aus Lungengewebe.
Foto: Cultex Laboratories GmbH

 
Ablauf einer Untersuchung zur Wirkung luftgetragener Stoffe:
Die eine mikroporösen Membranen (Inserts) kultivierten Zellen werden vor der Exposition in das Modul verbracht, wobei alle lebenserhaltenen Funktionen wie Mediumversorgung und Temperatur gewährleistet sind. Die sogenannten air-lifted-Kulturen stehen an ihrer Oberseite im unmittelbaren Kontakt mit der Umgebungsatmosphäre, während sie von der basalen Seite über die Membran mit Nährstoffen versorgt werden. Dieses Probeaufnahme-modul kann nun in luftdichten Kontakt mit dem Expositionsaufsatz gebracht werden und die Testatmosphäre (Gase, Partikel, komplexe Stoffgemische) durch das Modul gesaugt werden. Die Konstruktion des Aufsatzes hinsichtlich der Strömungsverteilung (zentrale Probenahme der Testatmosphäre, radiäre Strömungsverteilung) sowie speziell designte Einleitungsrohre garantieren eine homogene Verteilung des Aerosols auf den Zellen. Die Exposition ist reproduzierbar, d. h. beliebig viele Wiederholungen führen zu vergleichbaren Ergebnissen.

Insbesondere bei partikelhaltigen Atmosphären kann die Effizienz des Auftreffens auf die Zellen mittels elektrostatischer Abscheidung signifikant gesteigert werden, was z.B. für die Untersuchung von Nanopartikeln von Bedeutung ist.

 
InVitroJobs führte ein Interview mit der geschäftsführenden Direktorin und Gründerin von Cultex, Prof. Dr. Michaela Aufderheide, zum Stand der Forschungen und der Perspektiven.


InVitroJobs:
In welchen Fragestellungen wird das Inhalationsexpositionssystem Cultex RFS eingesetzt?

Prof. Dr. Aufderheide:
In unserem Labor wird das Gerät im Wesentlichen im Bereich Forschung und Entwicklung eingesetzt. Die vorwiegend von der Industrie gesponserten Projekte sind in der Grundlagenforschung angesiedelt und befassen sich mit der Entwicklung von Zellmodellen und Expositionsstudien mit Zigarettenrauch, inhalierbaren Therapeutika, Gasen und Partikeln.

InVitroJobs:
Wie weit ist die Entwicklung des Cultex RFS inzwischen? Ist die Prävalidierung abgeschlossen, mit welchen Ergebnis?

Prof. Dr. Aufderheide:
Die Entwicklung d. h. das technische Konzept des CULTEX® RFS Moduls ist prinzipiell abgeschlossen. Wir werden jedoch immer wieder mit neuen Fragestellungen konfrontiert, die eine spezifische Adaption des Moduls erforderlich machen, z. B. durch spezielle Testatmosphären oder die Exposition von komplexen Gewebekonstrukten.

Der Entwicklungsstand lässt sich auch daran ermessen, dass sich das Gerät sowie die Methode der Direktexposition in einer Prävalidierungsstudie1 (Titel des Verbundprojekts: Prävalidierung und Validierung der CULTEX-Methode: In-vitro-Bestimmung der akuten Toxizität inhalativ wirkender Feinstäube und Nanopartikel nach Direktexposition kultivierter Zellen vom Respirationstrakt des Menschen) befinden, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Die Universität Mainz , Institut für Pathologie, Repair-Lab und das Institut für Toxikologie der Bundeswehr sind hier unsere Kooperationspartner. Die Anforderungen an diese Studien sind sehr hoch, da neben biologischen Fragestellungen auch technische und aerosolphysikalische Aspekte berücksichtigt werden müssen, um eine effiziente und stabile Untersuchung der Teststäube gewährleisten zu können. Zu diesem Zweck wurden alle Projektpartner mit gleichen Gerätschaften ausgestattet (Partikelpresse, Partikelgenerator, etc.), mit CULTEX® RFS Modulen sowie Peripheriegeräten (wie Flow-Controller etc.), die zum Teil noch selbst entwickelt werden mussten.

Es wurden SOP’s2 ("Standard operating procedures", Standardarbeitsanweisungen) für die Zellkultivierung und -exposition erstellt und die  Arbeitsabläufe in gemeinsamen Trainingseinheiten harmonisiert. Die Versuchsergebnisse zu den Partikelexpositionen werden durch unseren  Projektpartner, seh consulting + services, zeitnah statistisch aufgearbeitet und bewertet, so dass ein ständiger Dialog zwischen den ausführenden Institutionen besteht. Die Prävalidierungsstudie läuft derzeit noch, aber die vorhandenen Daten deuten auf eine akzeptable Variabilität der Ergebnisse innerhalb und zwischen den Laboren hin, so dass wir den Ausgang der Studie positiv beurteilen.

InVitroJobs:
Welche Stoffe lassen sich mit Ihrem Modell testen?

Prof. Dr. Aufderheide:
In der Prävalidierungsstudie befassen wir uns ausschließlich mit partikelhaltigen Atmosphären, aber – wie Sie sich vorstellen können – ist das nur eines der möglichen Anwendungsgebiete.

InVitroJobs:
Welche Parameter können nach der Exposition geeigneter Zellkulturen z. B. mit dem Expositionssystem RFS untersucht werden?

Prof. Dr. Aufderheide:
Prinzipiell lassen sich alle denkbaren Endpunkte von der Zyto- und Gentoxizität bis hin zu molekularbiologischen Veränderungen bestimmen. Maßgeblich für die Zusammenstellung verschiedener Parameter ist die Fragestellung der aktuellen Studie.

Die Studie hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Auswahl des zellulären Prüfsystems. In unserem Haus verwenden wir ausschließlich Zellmaterial vom Respirationstrakt des Menschen. Das Spektrum umfasst Zelllinien3, primäre Zellkulturen4 und komplex aufgebaute Kulturen, die aus mehreren unterschiedlichen Populationen bestehen. Für Screening-Studien5 verwenden wir meist Zelllinien wie A549, die in ausreichender Menge vorgehalten werden kann und sich durch eine hohe Stabilität auszeichnet.

InVitroJobs:
Nutzen andere Forscher Ihr Modell ebenfalls bereits? Zu welchen Fragestellungen?

Prof. Dr. Aufderheide:
Arbeitsgruppen in Japan und Europa nutzen das CULTEX®RFS Modul, z. B. zur Analyse der biologischen Wirkung von Emissionen aus Dieselmotoren und Flugzeug-Turbinen, Gasen, Zigarettenrauch, flüchtiger Stoffe, Phosgenen sowie inhalierbarer Therapeutika. Das Anwendungsspektrum ist also breit gefächert und erfordert eine umfassende Infrastruktur hinsichtlich der technischen Ausstattung eines Instituts, da in allen Fällen frisch generierte Atmosphären getestet werden. Diese werden meist chemisch/physikalisch charakterisiert und deren Wirkstoffpotenzial hat  dementsprechend Auswirkungen auf die Auswahl der zu bestimmenden Effekte nach Wirkstoffexposition.

InVitroJobs:
Warum nutzt man denn eine mit Flüssigkeit bedeckte Zellkultur, die Lunge ist doch mit Flimmerhärchen und einer Schleimhaut ausgekleidet?

Prof. Dr. Aufderheide:
Die Zellkulturen sind nur während der ersten Tage nach Aussaat auf die mikroporösen Membranen der Zellkultur-Inserts in Medium „getaucht“ (submerse Kulturführung). In dieser Phase soll das Wachstum der Zellen auf den Membranen gefördert werden. Sobald die Zellen eine dichte Schicht bilden wird das Medium von der apikalen Seite (oberhalb der Kulturen) abgenommen und die Nährstoffversorgung erfolgt dann nur noch von der basalen Seite her (unterhalb der Membranen). Diese sogenannte „air-liquid-interface (ALI) Kulturführung“6 ist wichtig für die natürliche Differenzierung der Lungenepithelzellen in Zilien-tragende und Schleim produzierende Zellen. Die Versorgung der Zellen mit Nährstoffen wird durch die Poren in der Membran gewährleistet. Die ALI-Kulturführung ähnelt den Bedingungen in der Lunge des Menschen und bildet die Grundlage für die Expositionsversuche, um realistische Bedingungen nachzubilden.

InVitroJobs:
"A549", "BEAS-2B", "16HBE140-": Nach welchen Kriterien lassen sich denn geeignete Zelllinientypen finden, die man den Aerosolen in einem Versuch aussetzen kann?

Prof. Dr. Aufderheide:
Permanente Zelllinien stammen entweder von Krebszellen oder wurden durch gezielte genetische Veränderungen von normalen Zellen hergestellt. Sie weisen z. T. einige Charakteristika von Primärzellen auf, haben jedoch auch Zelllinien-spezifische Eigenheiten. Daher unterscheiden sie sich in ihrer Eignung für bestimmte Fragestellung erheblich. Inwieweit bestimmte zelluläre Aspekte mit der jeweiligen Zelllinie untersucht werden können, muss in Vorversuchen ermittelt werden.

InVitroJobs:
Zelllinien oder Primärkulturen: Was sind denn die geeigneten „Zellsysteme“, die man potenziell giftigen Aerosolen aussetzen sollte?

Prof. Dr. Aufderheide:
Generell eignen sich Zelllinien besser für Routineuntersuchungen, da sie die Reproduzierbarkeit der Experimente erhöhen. Permanente Zelllinien können über einen langen Zeitraum kultiviert werden, ohne dass sie Anzeichen von Alterung zeigen. Durch ihre meist hohe Teilungsrate kann man außerdem eine hohe Zellausbeute je Passage erzielen.

Primärzellen, die aus Gewebe isoliert wurden, spiegeln die in vivo-Bedingungen am besten wider, da sie unter geeigneten Kulturbedingungen wichtige Differenzierungsmerkmale aufweisen. Im Gegensatz zu permanenten Zelllinien haben sie jedoch nur eine sehr begrenzte Lebensdauer und verlieren mit steigender Passagenzahl ihre Differenzierungsfähigkeit. Auch die Zellausbeute je Passage ist sehr gering. Primärzellen, die von verschiedenen Spendern stammen, reagieren häufig unterschiedlich auf bestimmte Stimuli. Aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit und der Spender-spezifischen Unterschiede ist der Einsatz von Primärzellen für Routinetests eher begrenzt möglich. Es empfiehlt sich jedoch, die Ergebnisse, die mittels permanenter Zelllinien erzeugt wurden, auf ihre Gültigkeit in Primärzellen zu verifizieren. Auch können Vorversuche mit Primärzellen Aufschluss über die Tauglichkeit von Zelllinien für bestimmte Fragestellungen geben.

InVitroJobs:
Ist es nicht besser ein Modell zu nutzen, das der menschlichen Lunge recht nahe kommt wie z. B. sogenannte lung slices7 oder die künstliche Rekonstruktion von mehreren verschiedenen Zellschichten einschließlich der Makrophagen8 und Dendritischen Zellen9, um den Abwehrmechanismus gegen eindringende Fremdpartikel zu berücksichtigen, wie er in der Natur vorkommen würde? Ist das für spätere Forschungen auch vorgesehen?

Prof. Dr. Aufderheide:
Die Erstellung von Zellkulturen aus Lungenepithelzellen erlaubt es, verschiedenste Vorgänge dieses Gewebes über einen längeren Zeitraum zu untersuchen. So ist es zum Beispiel auch möglich, die Differenzierung der Zellen genauestens zu verfolgen und wichtige Einflussparameter zu ermitteln. Die Differenzierung der Epithelzellen ist ein wichtiger Vorgang bei der Entwicklung der Lunge, aber auch nach Schädigung des Epithels im Zuge von Reparatur- und Umbauprozessen. Läuft dieser Prozess fehlerhaft ab, kann es zu dauerhaften Schäden des Lungenepithels und chronischen Erkrankungen der Atemwege kommen.
Andere in vitro-Systeme, wie z. B. lung slices oder Gewebe-Sphäroide10 bestehen bereits aus differenziertem Gewebe und eignen sich daher nicht für Untersuchungen zu diesem Aspekt. Des Weiteren ist ihre Vitalität oft von geringer Dauer oder ihre Kultivierung recht aufwendig (evtl. sind Bioreaktoren erforderlich).

InVitroJobs:
Gewebeschnitte sollen nur bis zu sechs Monate lebensfähig sein. Wie lange leben die Primärzell- bzw. Ko-Kulturen11, die im Expositionsmodell verwendet werden? Hat das Einfluss auf die Untersuchungen?

Prof. Dr. Aufderheide:
Ausdifferenzierte Lungenepithelzellen können über mehrere Monate kultiviert werden, wodurch sie sich auch für Langzeituntersuchungen und wiederholte Expositionen sehr gut eignen. Ko-Kultur-Systeme machen es möglich, die Kommunikation zwischen verschiedenen Zelltypen zu simulieren. Zum Beispiel ist bekannt, dass Fibroblasten, die sich im Bindegewebe unterhalb der Epithelschicht in den Atemwegen befinden, eine wichtige Rolle bei der Differenzierung und Wundheilung des Gewebes spielen, da sie wichtige regulatorische Zytokine12 und Chemokine13 produzieren. Ko-Kulturen aus Lungenepithelzellen und Fibroblasten können diese Aspekte simulieren. Des Weiteren ist es denkbar, diesen Ko-Kultur-Systemen einen dritten Zelltyp zuzufügen, wie zum Beispiel Zellen der Immunabwehr, wie Makrophagen. Jedoch empfiehlt es sich schrittweise vorzugehen, um die biochemischen Vorgänge genauestens untersuchen und bewerten zu können.

InVitroJobs:
Kann man das Cultex-Expositionssystem auch für triple-cell-culture-Modelle14 nutzen?

Prof. Dr. Aufderheide:
Ja.

InVitroJobs:
Unabhängig von der Kritik, dass in vitro-Modelle den Sachverhalt statisch abbilden und eine systemische Ergänzung zur Risikobewertung nötig sei: Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Modell langfristig geeignet ist, die bislang noch stattfindenden Tierversuche im Endpunkt Repeated Dose, Teilbereich Inhalationstoxizität, abzulösen?

Prof. Dr. Aufderheide:
Der politische Druck, Tierversuche zu reduzieren und die Fortschritte, die im Bereich der Ersatz-verfahren erzielt wurden, sprechen für eine Zukunft der in vitro-Verfahren auch in Ergänzung zur Risikobewertung. Auf Tierversuche kann derzeit noch nicht verzichtet werden, aber die in vitro-Methoden können hier sicherlich einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der Tierzahlen leisten, z. B. beim Einsatz in Prä-Screening-Verfahren zu Fragen der akuten Toxizität.

Dies hängt jedoch maßgeblich von der Akzeptanz derartiger Methoden durch die Behörden auf nationaler und internationaler Ebene ab und davon, inwieweit sie Eingang bei entsprechenden Zulassungsverfahren finden. Voraussetzung hierfür ist wiederum der Nachweis, dass derartige Methoden die Hürden der Prä-Validierung sowie Validierung genommen haben. Erst dann steht der Weg für weiterführende Maßnahmen offen. Dies Prozedere erstreckt sich jedoch über mehrere Jahre, so dass ein schneller Fortschritt auf diesem Sektor fast ausgeschlossen werden kann. Hier liegt auch das derzeitige Dilemma: einerseits werden massiv in vitro-Ersatzmethoden gefordert, auf der anderen Seite ist der Weg zu lang und die finanzielle Förderung zu gering, als dass eine effiziente Strategie zur Implementierung von solchen Verfahren kurzfristig greifen könnte.

InVitroJobs:
Lässt sich Ihr Cultex-Expositionssystem langfristig auch für medizinische Fragestellungen, z. B. therapeutische Ansätze bei Lungenkrankheiten, anwenden? Welche Perspektiven sind da angedacht?

Prof. Dr. Aufderheide:
Der Einsatz eines solchen Systems ist natürlich nicht nur auf den toxikologischen Sektor beschränkt, sondern kann auch im medizinischen Bereich erfolgen. Eine Möglichkeit bietet hier die Induktion von zellulären Veränderungen durch bekannte Noxen15, um spezielle Aspekte einer Krankheit abzubilden und Therapiemöglichkeiten aufzuzeigen.

InVitroJobs:
Arbeiten Sie z. B. mit medizinischen Hochschulen oder anderen Einrichtungen zusammen? Vergeben Sie auch Diplom- oder Doktorarbeiten zu Fragen der in vitro-Inhalationstoxikologie?

Prof. Dr. Aufderheide:
Unsere Grundlagen-orientierte Forschung gestattet uns auch die Vergabe von Doktorarbeiten, die sich mit unseren Themen „Zellmodelle und Exposition“ beschäftigen. Hier kooperieren wir mit dem Institut für Technische Chemie der Universität Hannover (Herr Prof. Scheper, Frau Prof. Kasper), wo die Arbeiten mit betreut und offiziell vertreten werden. Praktika oder Abschlussarbeiten bieten wir meist nur auf Anfrage an, da unser Arbeitsgebiet doch sehr speziell ist und nicht im Fokus der regulären Ausbildung liegt.

InVitroJobs:
Was halten Sie von der Idee, dass in der Hochschullehre der Nachwuchs mehr im Bereich der Ersatzverfahren ausgebildet werden sollte?

Prof. Dr. Aufderheide:
Prinzipiell sollten in vitro-Methoden als Ersatzverfahren mehr Berücksichtigung in der Hochschullehre erfahren, da sie in vielen Industriesparten bei toxikologischen Studien Eingang gefunden haben und auch in Zukunft ein wichtiges analytisches Segment darstellen werden.

InVitroJobs:
Wir danken für das Gespräch.


Glossar:
1 Prävalidierungsstudie: Verbundstudie unter Beteiligung mehrerer unabhängiger Prüflabore mit dem Ziel festzustellen, ob die Methode zuverlässig und reproduzierbar ist.
2 SOP´s: Standardarbeitsanweisungen sind schriftlich festgehaltene Standardvorgehensweisen für stationäre, diagnostische oder labortechnische Abläufe.
3 Zelllinien: Zelllinien sind dagegen Zellen einer Gewebeart, die sich in Kultur unbegrenzt fortpflanzen können. Mit Hilfe gentechnischer Methoden kann man die Zellen unbegrenzt teilungsfähig machen (immortalisieren).
4 primäre Zellkulturen:  Primärkulturen werden unmittelbar nach der Zell- oder Gewebeentnahme angelegt. Sie sind meist nicht unbegrenzt teilungsfähig.
5 Sreening-Studien: Screening ist auf bestimmte Kriterien ausgerichteter Siebtest. Eine Screeningstudie ermöglicht es z.B.  Ärzten und Pharmaunternehmen die am besten geeignete Methode zur Erkennung von bestimmten Krankheiten oder Gesundheitszuständen zu identifizieren.
6 Air-liquid-interface (ALI) Kulturführung: Luft-/Flüssigkeitsgrenzschicht. Die Zellen werden von unten mit Medium versorgt, der Flüssigkeitsstand ist nahe an der Oberfläche der Zellkultur, so dass  hier die Grenze zwischen dem Medium Flüssigkeit und dem Medium Gas verläuft.
7 lung slices: Oft menschliche Abschnitte aus Krebsoperationen mit etwas gesundem Gewebe, das aus Sicherheitsgründen mit entfernt werden muss. Das humane Tumorgewebe wird dann sehr dünne Scheiben (Slices) von 200 bis 300 Mikrometern Dicke geschnitten und anschließend in Kulturen angezüchtet.
8 Makrophagen: Große Fresszellen (Zellen des angeborenen Immunsystems), verdauen Fremdpartikel.
9 Dendritische Zellen: Zellen des angeborenen Immunsystems mit langen Ausläufern, die sternförmig aussehen.
10 Gewebe-Sphäroide: dreidimensionale Gewebekügelchen, das chemische Milieu und die Zell-Zell-Kontakte sind anders als bei flachen Schichten.
11 Ko-Kulturen-Systeme: zum Studium von Zellinteraktionen können verschiedene Zelltypen in einer Zellkultur gezüchtet werden.
12 Zytokine: werden von den Zellen des Immunsystems gebildet und steuern die Immunantwort.
13 Chemokine: Signalproteine, die Zellen chemotaktisch zum Entzündungsherd locken.
14 triple-cell-culture-Modell: Ein Zellkulturmodell aus drei verschiedenen Zelltypen, z.B. bestehend aus A549-Epithelzellen, Makrophagen aus Vorläufern des menschlichen Blutes und Dendritischen Zellen. Hier können die Interaktionen eines hinzukommenden fremden Stoffes (Xenobiotika) mit den verschiedenen Zelltypen untersucht werden.
15 Noxen: Med. Stoff oder Umstand, der schädigende, (d. h. krankheitserzeugende) Wirkung auf einen Organismus oder auf ein Körperorgan ausübt.