Dienstag, 26 Juli 2011 18:57

Arbeitsgruppe im Portrait: „Kurzzeit-Toxikologie“ der Abteilung „Experimentelle Toxikologie und Ökologie“, BASF Empfehlung

InVitroJobs stellt regelmäßig Wissenschaftler und ihre innovativen Forschungen als „Arbeitsgruppe im Portrait“ vor. Im Fokus stehen neu entwickelte Methoden, ihre Evaluation sowie der Ausblick, welche tierexperimentellen Versuchsansätze gemäß dem 3R-Prinzip (reduce, refine, replace) nach Möglichkeit reduziert und bestenfalls ersetzt werden können. Unser dritter Beitrag stellt die Arbeitsgruppe „Kurzzeit-Toxikologie“ der Abteilung „Experimentelle Toxikologie und Ökologie“ der BASF SE vor.

 

Arbeitsgruppe im Portrait: „Kurzzeit-Toxikologie“ der Abteilung „Experimentelle Toxikologie und Ökologie“, BASF


Unser dritter Beitrag stellt ausgewählte Beispiele aus der Arbeitsgruppe „Kurzzeit-Toxikologie“ der Abteilung „Experimentelle Toxikologie und Ökologie“ der BASF SE vor. Diese Einschränkung ist nötig, denn die Arbeitsgruppe umfasst über 50 Mitarbeiter in 5 Labors, hat über 20 Methoden im Einsatz und fast noch einmal so viele in der Entwicklung.

Entwicklung und Anwendung von Alternativmethoden zum Tierversuch
Die BASF SE (Societas Europaea) ist das führende Chemieunternehmen weltweit1. Bevor BASF und andere Unternehmen Produkte auf den Markt bringen, ist es gesetzlich vorgeschrieben, deren toxikologisches Gefährdungspotenzial zu untersuchen. Grundlage hierfür sind die OECD-Richtlinien zur toxikologischen Prüfung von Chemikalien, die in den meisten Fällen immer noch Tierversuche vorschreiben2. Die BASF führt alle toxikologischen Untersuchungen in Ludwigshafen in der Abteilung Toxikologie und Ökologie unter der Leitung von Dr. Ben van Ravenzwaay, durch.

Die steigende Nachfrage nach Alternativmethoden zu Tierversuchen wird in der Wissenschaft im Sinne der 3R-Prinzipien von Russell & Burch, durch Verfeinerung der Methoden, durch Reduktion der Anzahl der eingesetzten Tiere im Tierversuch und durch Tierversuchsersatzverfahren zu lösen versucht. Die BASF versucht seit mehr als 20 Jahren, die Entwicklung und Bewertung dieser Methoden voranzutreiben. Dabei entwickelt die BASF neue Ersatzmethoden, neue Messgeräte (sogenannte „state-of-the-art“-Instrumente) und kooperiert mit Instituten und Universitäten. Die BASF genießt für die Entwicklung und Validierung von Alternativmethoden internationale Anerkennung und nimmt an zahlreichen, durch die EU und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekten sowie an Validierungsstudien mit anderen Firmen und Instituten teil. Die Labors fungieren auch als Validierungslabor für toxikologische Methoden (Zelltransformation, Hautreizwirkung, Augenreizwirkung, Sensibilisierung).

Der Konzern hat im Jahre 2004 ein eigenes „Labor zur Entwicklung von Alternativmethoden“ eingerichtet. 2009 wurde ein weiteres „Labor für angewandte Alternativmethoden“ eröffnet. Hier werden Ersatzmethoden in verschiedenen Bereichen der Toxikologie entwickelt: so zur Lokalen Toleranz3, zur Reproduktionstoxizität4, Gentoxizität5 und Systemischen Toxizität6. Des Weiteren werden und wurden Geräte entwickelt, um in den OECD-Regularien akzeptierte Methoden durchzuführen.

Die Gruppe "Kurzzeit-Toxikologie" - mit 50 Mitarbeitern, unter der Leitung von Dr. Robert Landsiedel – verfügt über fünf  Labore (Labor für Inhalationstoxikologie, Gentoxikologie, Angewandte Alternativmethoden, Biokinetik und Entwicklung von Alternativmethoden) und ist Teil der Abteilung „Experimentelle Toxikologie und Ökologie“. Sie entwickelt und validiert Alternativmethoden und wendet sie in der Routine an, entwickelt Messgeräte und informiert über ihre Entwicklungen an Ersatzverfahren, z. B. durch Seminare an Universitäten im Masterstudiengang Toxikologie.  Einige Methoden wurden bereits validiert und konnten in die OECD-Prüfvorschriften aufgenommen werden. Sie sind somit für regulatorische Zwecke einsetzbar.

Im Folgenden werden fünf verschiedene wichtige Verfahren im Detail vorgestellt, an denen die BASF-Labors gearbeitet haben und die zum Ersatz von Tierversuchen beitragen oder beitragen können. Hier haben die Wissenschaftler:

- ein Gerät (Opacitometer) zur Testung der Augenreizwirkung von Substanzen weiterentwickelt und zertifiziert, ein Cornea-Modell aus menschlichen Zellen rekonstruiert und beides zusammen als abgestuftes Testsystem für den vollständigen Ersatz des Draize-Test am Kaninchenauge für stark und leicht bis nicht-reizende Substanzen vorgeschlagen,

- Zur Testung der Aufnahme von Substanzen durch die Haut nutzen die Wissenschaftler humanes Hautgewebe aus der kosmetischen Chirurgie in Diffusionskammern und arbeiten an der Züchtung spezieller humaner Hautmodelle.

- Eine Batterie mehrerer in vitro Methoden wurde entwickelt und ermöglicht es Allergene (hautsensibilisierende Substanzen) zu identifizieren.

- Zum Test bestimmter inhalationstoxikologischer Parameter werden derzeit Lungenschnittmodelle und 3D-Lungenmodelle aus menschlichen Zellen etabliert und und auf ihre Eignung zu den toxikologischen Fragestellungen hin evaluiert.

- Im Bereich hormonwirksamer Substanzen wurde ein Testsystem entwickelt, das den Tiereinsatz in Vorversuchen (sogenanntes Screening) durch den Einsatz von Hefezellen mit menschlichen Hormonrezeptoren reduziert.


1.) Alternative zum Augenreizungstest: das Opacitometer OP3.0 von BASF
Standardmäßig wurden Tests von Industriechemikalien auf ihre augenreizende Wirkung am Kaninchenauge vorgenommen (Draize-Test oder Modifikationen zu diesem Test nach OECD-Richtlinie 405). Im September 2009 hat die OECD jedoch einen in vitro-Test mit isolierter Rinderhornhaut (BCOP-Test, mit Rinderhornhaut von geschlachteten Rindern) zugelassen, der als Ersatz dieses Draize-Tests zur Substanztestung auf starke Augenreizung genutzt werden kann. Er wurde als Richtlinie Nr. 437 aufgenommen. Während der in-house-Validierung durch die BASF testete Dr. Arnhild Schrage als Postdoktorandin im Labor für Angewandte Alternativmethoden, geleitet von Dr. Susanne Kolle mehrere nicht mehr auf dem Markt erhältliche Geräte gegen einen BASF-eigenen Prototyp8. Es wurde im Labor auf Übereinstimmung mit der OECD-Richtlinie 437 geprüft, ferner eine Zertifizierungsstudie mit der IIVS (Institute for In vitro Sciences) in Gaithersburg/Maryland (USA) vorgenommen.  Das bereits zertifizierte BASF-Opacitometer OP3.0 ist zugelassen und kann eingesetzt werden. Es enthält Komponenten, die eine genaue und reproduzierbare Testung erlauben. Zudem enthält das Gerät Kalibrierstandards (Grauglasfilter), Corneahalter und eine elektronische Datenerfassung.

Der BCOP-Test wurde für das Erkennen stark augenreizender Substanzen entwickelt. Es ist aber derzeit noch kein Test anerkannt, der zwischen leicht Augen-reizender und nicht-reizender Substanzwirkung unterscheiden kann. Hierfür wurde vom Labor eine abgestufte Teststrategie aus zwei kombinierten Methoden, dem BCOP-Test und dem menschlichen Gewebemodell, ein  rekonstruiertes Cornea-Modell, bei der OECD vorgeschlagen, um letztendlich den Draize-Test vollständig zu ersetzen. Eine in-house-Validierungsstudie mit 60 Testsubstanzen ergab, dass das zusätzliche rekonstruierte Cornea-Modell eine durchaus geeignete Teststrategie darstellt. Durch Kombination des rekonstruierten Cornea-Modells mit dem BCOP-Test ließen sich stark reizende Substanzen (GHS-Kategorie 1)9,  moderat oder leicht reizende Sustanzen (GHS-Kategorie 2) und  nicht reizende Substanzen routinemäßig testen und korrekt klassifizieren.

2.) Dermale in vitro- Penetrationsstudien: Eine etablierte Alternativmethode mit Potenzial
Dermale Penetrationsstudien in vitro werden innerhalb der Forschungsgruppe Experimentelle Toxikologie im Labor für Biokinetik unter der Leitung von Dr. Eric Fabian durchgeführt. In diesem Laborteam arbeiten aktuell neun technische Mitarbeiter aus den Bereichen Biologie, Medizin und Chemie. Darüber hinaus arbeitet die Postdoktorandin Dr. Christine Jäckh im Labor für Biokinetik an forschungsorientierten Fragestellungen. Sie untersucht die Aktivitäten Fremdstoffmetabolisierender Enzyme in humanen Hautmodellen und geht der Frage nach, wie sich diese Enzyme von denen in nativen humanen Hautproben unterscheiden10, 11. Die forschungsorientierten Arbeiten des Labors werden von den zwei Doktorandinnen Katharina Guth und Veronika Blatz unterstützt.




Fotos: BASF

Bei der Untersuchung einer Testsubstanz interessiert, welche Substanzanteile nach der Expositionszeit abwaschbar sind und welche Anteile der auf die Hautoberfläche gelangten Substanz während der Exposition die Haut durchdringen oder nach dem Waschvorgang in der Haut verbleiben. Aus den Untersuchungsdaten zur dermalen Penetration einer Substanz  können systemische Belastungen berechnet werden. Sie können unter Berücksichtigung der Anwendungsbedingungen des Produktes wesentlich zur Risikobewertung beitragen. Bis vor circa 5 Jahren wurden die meisten Versuche zur dermalen Penetration in der Ratte in vivo nach der Guideline OECD 427 durchgeführt. Mittlerweile ist dieser Tierversuch in den BASF-Labors fast vollständig durch die anerkannte in vitro-Alternativ-methode nach OECD 428 ersetzt worden.

Aufgrund der großen möglichen Variabilität dieses neuen Versuchstyps (z. B. durch physikalische / chemische Eigenschaften der Testsubstanz, physikalische / chemische Eigenschaften der Donor- und Rezeptormedien, Beschaffenheit des Hautpräparates oder Art der Diffusionszelle) werden in dem Labor neben den Routineuntersuchungen zahlreiche Experimente durchgeführt, welche systematisch den Einfluss ausgewählter Parameter auf die dermale Penetration untersuchen. Zusätzlich soll herausgefunden werden, ob in Zukunft dieser Art ex vivo Hautproben für die dermalen in vitro-Penetrationsstudien benötigt werden oder, ob für solche Untersuchungen zukünftig auch Hautmodelle anwendbar sein könnten, die gesondert aus Zellkulturen hergestellt werden.

Ablauf und Aufbau eines dermalen in vitro-Penetrationsversuchs
Bei dem in vitro-Versuch wird ex vivo-Haut eingesetzt, die in der Regel aus der kosmetischen Chirurgie stammt.  Da die Unterschiede in den Penetrations-eigenschaften zwischen menschlicher und tierischer Haut bekannt sind, verwendet man routinemäßig humane Haut. Die Haut wird dabei mit einem Gewebehobel (mit einem Dermatom, das in der Dicke von Mikrometern in Hautstreifen schneidet) in circa 400 Mikrometer dünne Schnitte geteilt. Die Hautpräparate zeigen im Schnitt deutlich von oben nach unten Hornschicht (Stratum corneum), Epidermis, Basalmembran und Dermis. Die Hornschicht stellt die hauptsächliche Barriere der Penetration dar.

Zur Versuchsdurchführung werden 5 Hautpräparate pro Dosis in sogenannte Franz-Diffusionskammern (siehe Abb. 1-3) eingespannt, in physiologischer Kochsalzlösung equilibriert, temperiert und dann zunächst auf ihre Qualität durch Widerstandsmessungen, Bestimmungen des transepidermalen Wasserverlustes oder Überprüfung der Barrierefunktion z. B. mit tritiiertem Wasser hin überprüft.

Im eigentlichen Versuch wird nun die Testsubstanz auf die Haut aufgetragen. Nach verschiedenen Zeitintervallen werden Aliquote (Proben) des Rezeptor-mediums, welches sich in der Rezeptorkammer der Franz-Diffusionskammer befindet, gesammelt. Nach der Expositionszeit wird die Haut gewaschen. Um eine Aussage über die auf und in der Haut verbliebenen Substanz zu machen, erfolgt eine Nachbeobachtung des Systems, in der Regel bis 24 Stunden. Da häufig C14-markierte Testsubstanzen eingesetzt werden, kann die Analytik mittels Aktivitätsbestimmung über Flüssigszintillations-messungen erfolgen. Hierzu werden alle anfallenden Proben (Donor-seitig, Rezeptor-seitig, Hautpräparate, Waschlösungen usw.) vermessen. Aus den Anteilen im Rezeptormedium kann der absorbierte Anteil der applizierten Dosis bestimmt werden, während kinetische Parameter wie Absorptionsrate und Permeabilitäts-konstante aus den zu unterschiedlichen Zeiten gesammelten Rezeptorproben berechnet werden. Ein wesentlicher Parameter zur Bewertung der Validität der Untersuchung ist die Wiederfindung der applizierten Aktivität, die für jede Zelle zwischen 90 und 110 Prozent liegen sollte.




Aufbau einer statischen Franz-Diffusionskammer:
Abb. 1.: Schematischer Aufbau einer statischen Franz-Zelle.
Abb. 2.: Einzelne Bauteile zur Vorbereitung der
Diffusionskammer (1 = Rezeptorkompartiment; 2 = Donorkompartiment, 3 = Edelstahlklammer,
4 =Drei-Wege-Hähne, 5 = Heidelberger Verbindungsleitungen für Wassermantel).
Abb. 3.: Zusammengebaute Franz-Diffusionskammer.
Schema: BASF
Fotos: BASF


3.) Geeignete in vitro-Teststrategien zur Vorhersage des Haut-sensibilisierenden12 Potenzials von Chemikalien
Hautsensibilisierung ist ein wichtiges Gesundheitsproblem, nachdem ein Mensch mehrfach mit einem sensibilisierenden Stoff in Berührung gekommen ist und z. B. eine Allergie oder eine andere Hautreaktion entwickelt hat. Bislang werden gemäß den REACH-Vorgaben immer Tierversuche zur Prüfung auf Haut-sensibilisierende Eigenschaften einer Substanz durchgeführt, so z. B. der Local Lymph Node Assay (LLNA) an Mäusen13. Auf dem Hintergrund der 7. Novelle der Kosmetik-Richtlinie, wonach die Vermarktung von Kosmetika, an denen Tierversuche durchgeführt worden sind, ab März 2013 verboten ist, strebt die BASF die Entwicklung und Etablierung eines in vitro-Testsystems als Ersatzverfahren für den LLNA an und hat hierzu eine Validierung für mehrere in vitro-Testverfahren durchgeführt14.

Die Methoden werden im Labor für die Entwicklung von Alternativmethoden - unter der Leitung von Frau Dr. Tzutzuy Ramirez - vom Postdoktoranden Dr. Tobias Eltze zusammen mit der Doktorandin Caroline Bauch und Britta Wareing (BSc)  entwickelt. Da der Mechanismus der Hautsensibilisierung ein komplexer Ablauf aus mehreren Prozessschritten ist, muss ein in vitro-Testsystem aus mehreren Einzeltests bestehen. Es werden daher folgende drei Testkombinationen vorgeschlagen:

a) der Direct Peptide Reactivity Assay (DPRA)
das Protokoll wurde von Procter & Gamble in Zusammenarbeit mit der Universität Louis Pasteur in Strasbourg entwickelt15. Hierbei macht man sich die Tatsache zu Nutze, dass chemische Allergene zu Beginn der Einleitung der Hautsensibilisierungs-reaktion mit Proteinen reagieren. Die meisten chemischen Allergene sind elektrophil und reagieren als solche mit nukleophilen Aminosäuren wie Cystein oder Lysin. Der DPRA wird mit zwei synthetischen Peptiden durchgeführt, die entweder Lysin- oder Cysteinreste als Reaktionsenden für die Testsubstanz tragen. Die durchschnittliche Peptidabbau wird über HPLC-UV gemessen. Die Eigenschaft der Umwandlung in elektrophile Stoffwechselprodukte ist eine häufige Eigenschaft Haut-sensibilisierender Substanzen.

b) der Antioxidant Response Element (ARE) assay
Als Empfängerzelle dient eine humane Reporter-Keratinozytenzelllinie (d. h. ein HaCaT-Zellstamm, zur Verfügung gestellt durch die RWTH Aachen) zum Nachweis der Aktivierung ARE-abhängiger Gene. Der Signalweg verläuft molekularbiologisch so, dass bei Vorhandensein der Haut-sensibilisierenden Substanz ARE-abhängige Gene aktiviert werden16. Ein bestimmtes Repressorprotein (Keap1) wird von der Testsubstanz modifiziert, dissoziiert von einem sogenannten Transkriptionsfaktor, der dann die Produktion eines Luziferase-Reporter-Proteins auslöst. Die bei der Luziferaseaktivität emittierte Lumineszenz dient als indirekter Nachweis für eine ARE-abhängige Genexpression17.

c) der Dendritic Cell Like Line Activation Myeloid U937 Skin Sensitation assay (kurz: MUSST)
dessen Protokoll von L`Oréal in Zusammenarbeit mit Procter & Gamble entwickelt worden ist. Die Aktivierung und Änderung des Oberflächenmarker-Spektrums von dendritischen Zellen spielt in der Sensibilisierung eine zentrale Rolle. Für den MUSST Assay wird die Zelllinie U937 verwendet und nach Testsubstanz-Inkubation das Zelloberflächenmolekül CD86 durchflusszytometrisch bestimmt. Diese Testbatterie erwies eine sehr gute Abschätzung der Haut-sensibilisierenden Wirkung von Substanzen und wurde soeben veröffentlicht.

4.) In vitro-Methoden für die Inhalationstoxikologie
Mit Präzisions-Lungenschnittscheiben (precision cut lung slices (PCLS, aus Ratten- oder  humanen Spenderorganen) lassen sich zelluläre und funktionelle Reaktionen von Lungengewebe, insbesondere auch das des Menschen auf Teststoffe in vitro untersuchen. Es kann eine größere Anzahl an Testsubstanzen leicht miteinander verglichen werden, Parameter sind hier Zytotoxozität, oxidativer Stress18, Apoptose (programmierter Zelltod), Immunreaktion und histologische Veränderungen. Der Test wird derzeit prävalidiert in einem Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen und dem Fraunhofer ITEM, Hannover, unter finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Bei der BASF arbeiten an dem Projekt Dr. Sandra Vogel als Postdoktorandin und Annemarie Hess als Doktorandin zusammen mit Frau Dr. Lan Ma-Hock (Leiterin des Labors für Inhalationstoxikologie).

Auch sind bereits 3D-Lungenmodelle verfügbar, die aus menschlichen Zellen hergestellt werden. Es sind verschiedene Modelle erhältlich, die sich in Morphologie und  verwendeten Zelllinien unterscheiden. Testsubstanzen erreichen hier das Lungenepithel der natürlichen in vivo-Situation ähnlich. Im Labor für Experimentelle Toxikologie hat BASF mehrere Lungenmodelle etabliert mit dem Ziel des Vergleichs und der Evaluierung, welches Modell am besten für in vivo-Vorhersagen geeignet ist.

5.) In vitro-Reproduktionstoxizitätstest: Yeast estrogen screening (YES) und Yeast androgen screening (YAS)
Die beiden in vitro-Tests sind in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dresden, Lehrstuhl für Molekulare Zellphysiologie und Endokrinologie, Prof. Dr. Günter Vollmer, etabliert  worden. Die BASF hat die Tests zur Routinetestung unter GLP-Standard (siehe Glossar) weiterentwickelt und mit über 100 Substanzen validiert. Es handelt sich um zwei Tests zur Bestimmung des hormonell wirksamen Potenzials von Testsubstanzen. Hefezellen wurden hierbei genetisch modifiziert und enthalten ein Plasmid mit der humanen Sequenz des Östrogenrezeptors und des Androgenrezeptors, sowie zur Detektion das β-Galactosidase-Reportergen. Über eine kolorimetrische Reaktion kann sowohl das Hormon-verstärkende als auch das Hormon-schwächende Potenzial über einen Plattenleser detektiert werden.  Die Tests werden von Claudia Woitkowiak (BSc) im Gentoxikologielabor unter der Leitung von Dr. Markus Schulz durchgeführt.

Die beiden Tests werden als Screening-Tests verwendet19, 20. Die Ergebnisse des YES/YAS-Tests unterstützen dabei, potenziell hormonell wirksame Substanzen zu identifizieren und weitere Testprioritäten zu setzen.



Workstation YES-Test. Foto: BASF.




Darstellung  der antiöstrogenen Aktivität (links) und der östrogenen Aktivität (rechts). Foto: BASF.

Inhalte der YES/YAS Testplatten:
Reihe A: Trägersubstanzkontrolle (Spalten 1 bis 4 und 9 bis 12) sowie Hormon-aktive Kontrolle zzgl. einer antagonistischen Kontrollsubstanz (Spalten 5 bis 8).
Reihen B (in zunehmender Konzentration bis H): hormonell aktive positive Kontrollsubstanz (Spalten 1 bis 4), Testsubstanz plus hormonall aktiver, positive Kontrollsubstanz (Spalten 5 bis 8), ausschließlich Testsubstanz  (Spalten 9 und 10). Das Kulturmedium enthält das gelbe ß-D-Galactopyranosid (CRPG), das β-Galactosidase-Enzym wird zu rosafarbenem CPR verstoffwechselt, wenn hormonell wirksame Substanzen vorhanden sind. Die optische Dichte ist ein Indikator für die Zytotoxizität und wird nach cirka 48 Stunden photometrisch bestimmt.


Wir danken BASF, Arbeitsgruppe „Kurzzeit-Toxikologie“ der Abteilung „Experimentelle Toxikologie und Ökologie“ für die zur Verfügung gestellten Informationen, Abbildungen und Fotos.



Glossar:

OECD-Richtlinien
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Für fast alle gesundheitlichen Wirkungen von Chemikalien gibt es Testrichtlinien.

REACH
steht für Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals.  Die europäische Richtlinie verpflichtet Hersteller oder Importeure zur Ermittlung der gefährlichen Eigenschaften (wie z.B. giftig, krebserregend, umweltgefährlich) ihrer produzierten oder eingeführten Stoffe (Chemikalien und Naturstoffe) und zur Abschätzung der Wirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt.

lokale Toleranz
In der Toxikologie bezeichnet man mit dem Begriff lokale Toleranz (lokal = am Ort des Testsubstanzkontakts wie Haut und Auge)   die Anpassung eines Organismus an den Einfluss des Teststoffs durch z. B. vermehrte Biosynthese eines Enzyms, das den Giftstoff abzubauen vermag.

reproduktionstoxisch
Substanzen, die die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen oder Fehlbildungen beim Embryo hervorrufen können.

Gentoxizität
Wirkungen von Substanzen, die Änderungen im genetischen Material hervorrufen.

Systemische Toxizität
Systemische Schadstoffe wirken oft selektiv nur auf eine bestimmte Zielstruktur oder ein Zielorgan. Die Ursache dafür sind oft, dass in dem speziellen Organ erst eine Umwandlung des Schadstoffs in seine eigentliche, aktive Form stattfindet oder dass in diesem Organ die Zellwachstumsrate besonders hoch ist.

State-of-the-Art-Instrument
höchst verfügbarer Entwicklungszustand einer bestimmten Technologie oder eines Gerätes.

GHS
Global Harmonized System= international harmonisiertes Gefahrstoffsystem.

Sensibilisierende Stoffe
Stoffe und Zubereitungen, die bei Einatmen oder bei der Hautresorption eine Überempfindlichkeitsreaktion hervorrufen können, so dass bei künftiger Exposition gegenüber dem Stoff oder der Zubereitung charakteristische Störungen wie Allergien auftreten.

LLNA
Regulatorisch aktzeptierter Test zur Prüfung auf Haut-sensibilisierende Wirkung an der Maus.

Keratinozyten
spezialisierte Zellen der menschlichen Epidermis, die die Hornsubstanz Keratin produzieren. Keratin wirkt wasser-abweisend und verleiht der Haut Schutz und Stabilität24.

Antioxidans
chemische Verbindung, die eine unerwünschte Oxidation anderer Substanzen verhindert.

Repressorprotein
Als Repressor bezeichnet man in der Genetik ein DNA-bindendes Regulatorprotein, das durch Bindung an einer bestimmten Stelle die Ablesung des Genabschnitts verhindert25.

Referenzlabor
Als Referenzlaboratorien werden Laboratorien bezeichnet, die von der Europäischen Kommission ("Gemeinschaftliche Referenzlaboratorien") oder von einer nationalen Regierung ("Nationale Referenzlaboratorien") auf der Grundlage gemeinschaftlicher oder nationaler Rechtsvorschriften ernannt wurden. Diese Laboratorien verfügen über eine besonders hohe Qualifikation auf ihrem Fachgebiet und zeichnen sich neben ihrer Fachkompetenz durch ein hohes Maß an Unabhängigkeit aus und können auch länderübergreifend tätig sein. Mit der Einrichtung nationaler Referenzlaboratorien sollte die Basis für europaweit harmonisierte Maßnahmen im Bereich der Labordiagnostik geschaffen werden23.

Validierung
Durch die Validierung wird der dokumentierte Beweis erbracht, dass ein Prozess oder ein System die vorher spezifizierten Anforderungen (Akzeptanzkriterien) reproduzierbar im praktischen Einsatz erfüllt21.

In-House-Valisierung
Methoden werden an den Gebrauch des eigenen Unternehmens angepasst.  Die Validierung soll eine Methode anhand von Laboruntersuchungen möglichst gut charakterisieren und deren Eignung für den vorgesehenen Zweck belegen. Zu prüfen ist .Spezifität, Sensitivität,(Relative) Richtigkeit, Wiederholbarkeit (Präzision), Vergleichbarkeit (Robustheit), Nachweisgrenze, Bestimmungsgrenze, Linearität, Falsch-Positiv-Rate, Falsch-Negativ-Rate, Statistische Übereinstimmung22.

GLP-Zertifizierung
GLP meint gute Laborpraxis. Bei den OECD Prinzipien der „Guten Laborpraxis“ handelt es sich um ein Qualitätssicherungsprogramm für die Harmonisierung der Testmethoden. Um eine Vertrauensbasis für die gegenseitigen Anerkennung von Daten zu schaffen, muss gewährleistet sein, dass die die Prüfungen durchführenden Laboratorien in allen Ländern einen gleichen Standard aufweisen und nach ähnlichen Methoden arbeiten. Ein Labor oder eine Methode kann dahingehend zertifiziert werden.

Oxidativer Stress
Menge reaktiver Sauerstoffverbindungen überschreiten das physiologische Ausmaß.



Quellen:

1 BASF Website http://www.basf.com/group/corporate/de/about-basf/index?mid=0
2 http://www.bfr.bund.de/de/oecd_richtlinien_zur_toxikologischen_pruefungen_von_chemikalien-61575.html
3 http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Toleranz.html
4 http://de.wikipedia.org/wiki/Teratogen
5 http://de.wikipedia.org/wiki/Genotoxizit%C3%A4t
6 http://www.chemgapedia.de/vsengine/vlu/vsc/de/ch/11/toxikologie/kap_1/vlu/wirkung.vlu/Page/vsc/de/ch/11/toxikologie/kap_1/kap1_3/lokal.vscml.html
7 http://de.wikipedia.org/wiki/State_of_the_Art.
8 Schrage, A., Kolle, S. N., Rey Moreno, M. C., Norman, K., Raabe, H., Curren, R., van Ravenzwaay, B & Landsiedel, R. (2011): The Bovine Corneal Opacity and Permeability Test in Routine Ocular Irritation Testing and Its Improvement Within the Limits of OECD Test Guideline 437.  ATLA 39:37-53
9 http://www.bgchemie.de/REACH-GHS
10 Jäckh, Ch., Blatz, V., Fabian, E., Guth, K., Reisinger, K., van Ravenzwaay, B., Landsiedel, R.: Characterization of enzyme activities of Cytochromes P450, Flavin-dependent monooxygenases, N-Acetyltransferases and Glucuronyltransferases in human reconstructed epidermis and full-thickness skin models. Toxicology in Vitro (Epub ahead of print)
11 HYPERLINK "http://www.nature.com/nprot/journal/v6/n5/full/nprot.2011.316.html" \l "auth-1#auth-1" Landsiedel,  R., Fabian, E., Tralau, T. & Luch, A.: Chemical toxicity testing in vitro using cytochrome P450–expressing cell lines, such as human CYP1B1.  Nature Protocols 6: 677–688.
12 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31992L0032:DE:HTML
13 http://ecvam.jrc.it/ft_doc/ECVAM%20LLNA%20Performance%20Standards-Sec.pdf
14 Bauch, C., Kolle, S. N., Fabian, E., Pachel, Ch., Ramirez, T., Wiench, B., Wruck, Ch. J., van Ravenzwaay, B. & Landsiedel, R. (2011): In house validation of four in vitro assays for the prediction of the skin sensitizing potentials of chemicals. Toxicology in Vitro (Epub ahead of print)  http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0887233311001664
15 Gerberick, G. F. (2004): Development of a Peptide Reactivity Assay for Screening Contact Allergens. Toxicological Sciences 81/2: 332-343. http://toxsci.oxfordjournals.org/content/81/2/332.full
16 Natsch, A. & Emter, R. (2007): Skin Sensitizers Induce Antioxidant Response Element Dependent Genes: Application to the In Vitro Testing of the Sensitization Potential of Chemicals. Toxicological Sciences 102/1: 110-119. : http://toxsci.oxfordjournals.org/content/102/1/110.full
17 Natsch, A. (2010): The Nrf2-Keap1-ARE. Toxicity Pathway as a Cellular Sensor for Skin Sensitizers-Functional Relevance and a Hypothesis on Innate Reactions to Skin Sensitizers. Toxicological Sciences 113: 284-292.
18 http://de.wikipedia.org/wiki/Oxidativer_Stress
19 http://www.bmu.de/chemikalien/doc/4056.php
20 Kolle, S. N., Kamp, H. G., Huener, H. A., Knicke, J., Verlohner, A., Woitkowiak, C., Landsiedel, R. & van Ravenzwaay, B. (2010): House Validation Of A Recombinant Yeast Estrogen And Androgen Receptor Agonist And Antagonist Screening Assays. Toxicology in Vitro 24: 2030-2040.
21 http://de.wikipedia.org/wiki/Validierung_%28Pharmatechnik%29
22 www.kantonslabor-bs.ch/.../In_house_Validierung_mikrobiologischer_Pruefverfahren.pdf -
23 http://de.wikipedia.org/wiki/Referenzlabor
24 http://flexikon.doccheck.com/Keratinozyt
25 http://de.wikipedia.org/wiki/Repressor