Diese Seite drucken
Artikel bewerten
(0 Stimmen)
Mittwoch, 03 März 2021 14:15

Seltene Erkrankung: Forscher der Charite entwickeln Behandlungsmöglichkeit des Leigh Syndroms Empfehlung

An der Charité wurde ein 15-jähriger Patient einer seltenen Erkrankung (Leigh-Syndrom-Kardiomyopathie) therapeutisch behandelt, nachdem die Wissenschaftler*innen an einem personalisierten in vitro-Krankheitsmodell ein geeignetes Arzneimittel gefunden hatten.


Nach einem Bericht des Berliner Gesundheitsportals "Gesundheitsstadt Berlin" (1) hat der Neuropädiater Prof. Markus Schülke-Gerstenfeld zusammen mit Stammzellforschern und Neurophsyiologen der Charité Berlin ein patienten-spezifisches Krankheitsmodell aus Zellen des betroffenen jungen Mannes entwickelt. Hierfür wurden diese Zellen zunächst in induzierte pluripotente Stammzellen verwandelt (2), um daraus dann neuronale Zellen des zentralen Nervensystems zu entwickeln, an denen die Forscher*innen potenziell wirksame pharmazeutisch wirksame Substanzen oder Medikamente testen konnten. Ein bereits gegen eine andere Erkrankung zugelassenes Medikament erwies sich beim Screening als geeignet. Die Behandlung führte am Ende dazu, dass der Patient heute wieder in die Schule gehen kann.

Der junge Mann leidet unter der Leigh Syndrom-Kardiomyopathie. Dabei liegen Mutationen im mitochondrialen Komplex IV-Assembly-Faktor SURF1 vor, die eine der Hauptursachen für das Leigh-Syndrom, einer seltenen tödlichen neurologischen Erkrankung, sind. Hier sterben nach und nach Zellen des Hirnstamms und der basalen Ganglia-Region ab. Typisches Symptom ist die Erschlaffung der Muskulatur – ähnlich wie bei amyotropher Lateralsklerose (ALS). Kinder, die mit dem angeborenen Gendefekt zur Welt kommen, erreichen meist nicht das Erwachsenenalter. Bis heute gibt es keine Therapie gegen die seltene mitochondriale Erbkrankheit. Der junge Mann war bereits gelähmt, hatte das Bewusstsein verloren und musste künstlich beatmet werden.

Tierversuche hatten in der Forschung zu keinerlei Behandlungsmöglichkeit geführt. SURF1-defiziente Tiere konnten zudem die neuronale Pathologie des menschlichen LS nicht rekapitulieren, wodurch die Krankheitsmechanismen nicht aufgeklärt werden konnten. Daher erzeugte das Forscherteam
induzierte pluripotente Stammzellen von LS-Patienten, die homozygote SURF1-Mutationen tragen. In einer vorherigen Forschungsarbeit (3) haben die Wissenschaftler*innen bereits gezeigt, dass SURF1-Mutationen ein Versagen in der Entwicklung von reifenden Neuronen verursachen.

In Europa gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf pro 10.000 Einwohner betroffen sind. Weltweit leben 300 Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung – ohne Aussicht auf Heilung. Sie sind äußerst vielfältig und komplex und haben überwiegend genetische Ursachen. Für die Betroffenen bedeutet dies lebenslange gesundheitliche Einschränkungen durch bestimmte Krebsformen, Erkrankungen des Herzkreislaufsystems,
der Nerven, des Stoffwechsels oder Immunsystems mit häufig verkürzter Lebenserwartung.

Die Grundlagen und mögliche Therapien von seltenen Erkrankungen werden bislang meist mit gentechnisch veränderten Mäusen erforscht. Derartige Tiermodelle sind jedoch auch in der Wissenschaft umstritten, denn die Mäuse entwickeln andere Symptome als der Mensch und sie können durch Artunterschiede in Genetik und Physiologie Stoffwechselreaktionen des Menschen auf Medikamente nicht abbilden. Auch können individuelle Unterschiede unter den Patienten eine personalisierte Medizin notwendig machen.

In den letzten Jahren sind unzählige Gewebe- und Organmodule in mikrophysiologischen zirkulierenden Systemen entwickelt worden, sogar mit bis zu 13 organähnlichen Systemen. Die Kombination derartiger Gewebe aus patienteneigenen Zellen mit integrierten Immunzellen können ein wertvolles Mittel zur Erforschung der Mechanismen seltener Erkrankungen (disease-on-a-Chip) darstellen.

Quellen:
(1) https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/
(2) Inak-Girrbach, G. (2019). Modeling Leigh syndrome using patient-specific induced pluripotent stem cells. Inaugural-Dissertation, Freie Universität Berlin. https://core.ac.uk/download/pdf/268939013.pdf
(3) Inak, G., Rybak-Wolf, A., Lisowski, P. et al. (2019). SURF1 mutations causative of Leigh syndrome impair human neurogenesis. BioRxiv preprinbt doi https://doi.org/10.1101/551390
https://www.orpha.net/