Freitag, 15 Oktober 2021 15:15

Neues Einstein Center 3R (EC3R) im Dienst der Vertrauenswürdigkeit in die 3R-Forschung bei Wissenschaft und Öffentlichkeit Empfehlung

Am 1. Juli startete das Einstein Center 3R in Berlin. Ziel ist es, dazu beizutragen, dass Tierversuche in bestimmten Bereichen der biomedizinischen Forschung durch in vitro-Methoden reduziert oder ersetzt werden können. Es wird zunächst bis Ende 2026 mit rund 5,3 Millionen Euro von der Einstein Stiftung gefördert. Wir sprachen mit dem Leiter für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit des EC3R, Prof. Dr. Jens Kurreck, über Aufgaben und Ziele des Zentrums.


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Herr Professor Kurreck: Ein Zentrum mit dem Namen Einstein - treffen hier besonders innovative Ideen aufeinander?

Professor Kurreck:
Ja, das hoffen wir. Der Hintergrund des Namens ist, dass es in Berlin die Einstein-Stiftung gibt. Diese vom Berliner Senat geförderte Stiftung hat es sich zum Ziel gesetzt, exzellente Forschungsprojekte in Berlin institutionenübergreifend zu fördern. Somit gibt es auch kein Gebäude, in dem sich nun ein neues 3R Zentrum befindet. Vielmehr sind Arbeitsgruppen aus verschiedenen Berliner Forschungsinstitutionen, d.h. den Universitäten in Berlin, dem Max-Delbrück-Zentrum, dem Bundesinstitut für Risikobewertung, dem Robert-Koch-Institut usw. miteinander verknüpft mit dem Auftrag neue, innovative Strategien für 3D Organmodelle zu entwickeln.

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Was hat sich denn seit dem 1. Juli getan?

Professor Kurreck:
Eine neue Initiative benötigt natürlich immer eine gewisse Startphase, in der z.B. Finanzverträge geschlossen werden und andere Formalien erledigt werden. In einer Mitgliederversammlung haben wir ein Steering Committee gewählt und die Sprecher bestätigt. Stefan Hippenstiel von der Charité ist Sprecher des Zentrums und koordiniert die Forschung, Christa Thöne-Reinecke von der Freien Universität Berlin ist Co-Sprecherin und Koordinatorin für die Lehre und ich bin als Repräsentant der TU Berlin Co-Sprecher und Koordinator für die Kommunikation.

Glücklicherweise haben wir aber auch schon inhaltlich gearbeitet. So ist in einer jüngst publizierten Studie zu einem 3D Lungenmodell für die Infektionsforschung schon Kooperationsarbeit des Einsteinzentrums zwischen Charité-Gruppen und unserer Gruppe an der TU Berlin eingeflossen. Die Forschungsgruppen finden also bereits zueinander. Für das Wintersemester sind Lehrveranstaltungen zu den 3R-Prinzipien vorgesehen, und wir haben mit der Öffentlichkeitsarbeit in Podcasts (NDR), Rundfunkbeiträgen (Deutschlandfunk) und Zeitschriftenartikeln (Stern) begonnen. Für die Berlin Science Week haben wir eine Vortrags- und Podiumsveranstaltung zu neuen Methoden für weniger Tierversuche konzipiert, für die bereits Filme in drei beteiligten Laboren gedreht wurden. https://berlinscienceweek.com/event/neue-methoden-fur-weniger-tierversuche-so-forscht-berlin/


Ein innovatives neues Forschungszentrum - Albert Einstein hätte sich sicher gefreut.
Fotografie von Ferdinand Schmutzer, 1921


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Es heißt auf Ihrer Website: "Um die 3R-Forschung zu fördern, müssen 3R-Methoden in der Wissenschaft selbst Akzeptanz finden." und "Das Ziel des Einstein Center 3R (EC3R) ist es, die Vertrauenswürdigkeit der 3R-Forschung in der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zu fördern." Von welchem Akzeptanz- und Vertrauensproblem ist hier die Rede? Geht es um Reproduzierbarkeit von Ergebnissen oder um mangelndes Vertrauen der Regulationsbehörden in neue tierfreie Methoden?

Professor Kurreck:
Diese Thematik ist vielschichtig. Zunächst einmal haben wir eine generelle Reproduzierbarkeitskrise in den Wissenschaften, die gerade auch für 3D Organmodelle bzw. Organoide gilt. Daher habe wir neben den Forschungsprojekten zu den einzelnen 3D Organmodellen ein Querschnittsprojekt, in dem es um die Reproduzierbarkeit geht. Es heißt 6R, da neben Replace, Reduce, Refine auch Robustness, Registration und Reporting* wichtig sind.
Mit besseren und reproduzierbaren 3D Modellen möchten wir Vertrauen bei anderen Wissenschaftlern schaffen, die derzeit ihren Erkenntnisgewinn auf Tierversuchen aufbauen und denen wir auch das Potenzial der Alternativmethoden darlegen möchten.

Schließlich sind natürlich auch die regulatorischen Behörden von Bedeutung, die in der Regel ein großes Beharrungsvermögen haben und von den Möglichkeiten und der Verlässlichkeit der tierfreien Methoden überzeugt werden müssen.

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Die Herausforderungen alternativer Methoden würden oft unterschätzt. Geht es hier um die kritische Aufklärung der Öffentlichkeit über die Leistungsfähigkeit neuer tierfreier Methoden oder z.B. um die Notwendigkeit einer besseren und langfristigeren Finanzierung?

Professor Kurreck:
Die Aufklärung der Öffentlichkeit einschließlich der Politik ist eine zentrale Aufgabe. Dabei ist es uns wichtig, nicht nur auf die Leistungsfähigkeit, sondern auch auf die noch bestehende Limitation hinzuweisen. Und das führt dann zu dem zweiten von Ihnen angesprochenen Punkt: Wir machen uns schon jetzt Gedanken, wie wir die Forschung weiter finanzieren können, wenn das Einsteinzentrum in spätestens sechs Jahren ausläuft. Wie können wir die Finanzierung der 3R Forschung verstetigen? Wäre beispielsweise ein Institut für 3R-Forschung an einer der Berliner Universitäten wünschenswert? Oder wäre dies gerade zu wenig flexibel? Hier haben wir mit dem Diskussionsprozess bereits begonnen.

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Warum braucht es ein verbessertes Qualitätsmanagement?

Professor Kurreck:
Solange jeder sein eigenes 3D Organmodell bastelt und es keine Qualitätsstandards gibt, wird die Forschung nicht zu reproduzierbaren und allgemein akzeptierten Ergebnissen führen. Wir brauchen definitiv Maßstäbe für die verwendeten Zelltypen, die Kulturführung, die dreidimensionale Struktur… Erst dann können wir Ergebnisse zwischen verschiedenen Gruppen vergleichen und vor allem auch den Vergleich zur Physiologie im lebenden Organismus, insbesondere im Menschen ziehen.

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Das EC3R will robuste Alternativmethoden entwickeln, die von einem breiten Nutzerkreis angewendet werden können. Was ist unter dem breiten Nutzerkreis zu verstehen? Sollen Verfahren kostenlos fit-for-purpose der Forschung und Industrie zur Verfügung gestellt werden?

Professor Kurreck:
Im EC3R gibt es sechs zentrale Forschergruppen, die sich mit Organmodellen für das Gehirn, die Lunge, die Leber, das Herz, den Darm und neuromuskuläres Gewebe beschäftigen. Diese verbesserten Organmodelle möchten wir dann gerne wissenschaftlichen Partnern anbieten, die beispielweise Infektionsstudien mit einem Virus durchführen möchten und dies bislang in Tiermodellen tun und nun vielleicht auch an einem exzellenten Lungenmodell machen würden.

Ich habe gerade persönlich Kontakte zur Industrie aufgebaut. Dies halte ich für extrem wichtig. Ich war selbst erstaunt über die Offenheit. Wenn ein Medikament in einer klinischen Studie scheitert, weil es aufgrund Spezies-spezifischer Unterschiede plötzlich toxische Nebenwirkungen gibt, die man im Tiermodell nicht gesehen hat, ist das für die Firmen ein finanzielles Desaster. Daher braucht gerade die pharmazeutische Industrie physiologisch relevante humane Modelle zur Medikamentenentwicklung. Und da ist es wichtig, frühzeitig in Kontakt zu treten, um die Anforderungen zu kennen.

InVitro+Jobs:
Mit der Erforschung zu Alternativmethoden sollen Tierversuche langfristig reduziert und ersetzt werden. Für welche Bereiche ist das anvisiert? für die noch fehlenden Verfahren in der Toxizitätsprüfung, die translationale Forschung und: gilt das auch für die Grundlagenforschung?

Professor Kurreck:
Aus dem Vorangegangenen ist vermutlich ersichtlich, dass alle Bereiche eine Rolle spielen, aber spezifische Anforderungen haben. Für Toxizitätsprüfungen benötigen wir u.a. ein exzellentes humanes Lebermodell. Hier ist alles stark standardisiert. Das gilt auch noch für die translationale Forschung. Besonders schwierig wird es in der Grundlagenforschung, die sehr vielfältig ist. Hier hat jede biomedizinische Gruppe ihre speziellen Tiermodelle. Somit brauchen wir hoch entwickelte Organmodelle als Alternativen, die im besten Fall auch noch miteinander interagieren.

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Es soll ein umfassendes Aus- und Weiterbildungsprogramm geben. Bedeutet das, dass Studierende dort ihre Masterarbeit oder einen Ph.D. machen können oder sind z.B. Fort- und Weiterbildungen für Mitarbeiter von Regulierungsbehörden und für Mitglieder von Tierversuche-genehmigenden Kommissionen geplant?

Professor Kurreck:
Es gibt in EC3R kein spezifisches Master- oder PhD Programm, aber die Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler sollen miteinander vernetzt werden. Hierzu haben wir die Junior Group des EC3R. Außerdem soll es regelmäßigen Austausch mit wissenschaftlichen Vorträgen geben. Und die Lehre im 3R Bereich soll koordiniert werden. Christa Thöne-Reinecke bietet ohnehin schon Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen an und hat schon vor Jahren – vor Corona (!) – ein Webinar zum Thema 3R aufgebaut. All dies können wir nun im Einsteinzentrum intensivieren.

InVitro+Jobs:
Es sollen innovative Anwendungen von künstlicher Intelligenz entwickelt werden: Das klingt sehr spannend. Können Sie uns hierzu Näheres sagen?
Professor Kurreck: Neben dem bereits erwähnten 6R-Projekt gibt es ein zweites Querschnittsprojekt zum Thema „Speziesübergreifende Vergleichbarkeit und Validität von Krankheitsmodellen“. Gerade in der Bildgebung und Analyse spielt Künstliche Intelligenz bei der Auswertung eine immer größere Rolle.

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Am EC3R geplant umfangreiche Aktivitäten. Reichen hier die 5,3 Millionen Euro der Einstein-Stiftung aus?

Professor Kurreck:
Wir sind der Einstein-Stiftung für die Förderung unserer Aktivitäten sehr dankbar. Aber ich kennen keinen Wissenschaftler, der jemals gesagt hätte, vielen Dank, ich habe genug Geld für meine Forschung. So denken auch wir, dass ein echter Durchbruch der Alternativmethoden noch einmal andere Dimensionen der Förderung benötigen. Ordnen wir diese Zahlen aber einmal ein: Gerade wurde in Nature (6.10.2021) über die Großprojekte zur Erforschung des Gehirns berichtet. Hierfür stehen allein in den USA 6,6 Milliarden Dollar bereit! Die ist das Tausendfache. Ich halte die Gehirnforschung für extrem wichtig und spannend; wenn man aber die 3R Forschung maßgeblich voranbringen möchte, so muss auch hier noch mehr Geld in die Hand genommen werden.

InVitro+Jobs:
Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.

Weitere Informationen zum EC3R finden Sie hier:
https://www.ec3r.org/de/ueber-ec3r


*6R: Replace, Reduce, Refine, Robustness, Registration, Reporting
Das 3R-Konzept von Russel & Burch (1959) für die ethische Verwendung von Tieren in Versuchen, das den Ersatz von Tierversuchen, die Reduktion von Tierversuchen und im anderen Falle die Verfeinerung von Tier-versuchsmethoden anvisierte, wurde von Daniel Strech und Ulrich Dirnagl 2018 um die Leitlinien Robust-ness, Registration und Reporting ergänzt. Sie zielen darauf abzielen den wissenschaftlichen Wert der Tier-versuche zu sichern, damit die Ergebnisse ausreichend belastbar sind (Robustness), und verhindert werden kann, dass die gleiben, bereits beantworteten fragen immer wieder erforscht werden, weil die Ergebnisse einer Forschung nicht registriert und über sie nicht berichtet worden war. Strech D, Dirnagl U. 3Rs missing: animal research without scientific value is unethical. BMJ Open Science 2019;3:e000035. doi:10.1136/bmjos-2018-000048