In den USA ist es in den letzten 25 Jahren zu einer Opioidkrise gekommen. Laut der US-Behörde CDC sollen von 1999 bis März 2021 fast 841.000 Menschen an einer Drogenüberdosis verstorben sein. Auch in Deutschland nehmen die Fälle des opioidmissbrauchs zu. (1) Wenn Opfer rechtzeitig gefunden werden, könnten sie mit einem Gegenmittel behandelt werden. Naloxon wirkt bei Opioidvergiftungen als Antidot. Der Wirkstoff Naloxon hebt die Effekte von Opioiden wie Heroin oder Fentanyl auf. So können Menschen gerettet werden, die von einer Opioidvergiftung betroffen sind. Der Wirkstoff, der zu den reinen Opioid-Antagonisten zählt, kommt auch bei Schmerzmittel-induzierter Atemdepression zum Einsatz. (2) Die häufigsten Nebenwirkungen von Naloxon sind Schwindel, Benommenheit, Tremor, Hypertonie, Schwitzen, Übelkeit und Erbrechen, der genaue Mechanismus ist jedoch unbekannt. Unter Off-Target-Toxizität versteht man die unerwünschten Wirkungen, die auftreten können, wenn sich ein Arzneimittel an andere Ziele (Proteine oder andere Moleküle im Körper) bindet als an die, für die es eigentlich bestimmt war. Dies kann zu unerwarteten, schädlichen Nebenwirkungen führen.
In die Organ-on-a-Chip-Multiorganplattform (MPS) wurden humane Leberzellen zur Verstoffwechslung aller eingesetzten Verbindungen, Herzmuskelzellen, Skelettmuskelzellen sowie Nervenzellen des Prä-Bötzinger-Komplexes integriert. Letztgenannter Komplex beschreibt eine Neuronengruppe, die für den Atemrhythmus verantwortlich ist. Bei Opioid-Überdosierungen besetzen die Opioide Rezeptoren im Gehirn, die unter anderem für den Atemreiz verantwortlich sind. Sämtliche Zellen wurden aus humanen primären Zellen und induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnen. Nach Zugabe der Kontroll- und Testsubstanzen wurde die spontane Aktivität der Prä-Bötzinger-Neuronen sofort aufgezeichnet. Die Reaktionen der Prä-Bötzinger-Neuronen und der Herzzellen wurden mit Multielektroden-Arrays, die Skelettmuskel- sowie Herzleistung mit dem Cantilever-System getestet. Herz-Cantilever ermöglichten die Erfassung der Kontraktionskraft oder Amplitude sowie der Schlagfrequenz. Bei ihren Messungen fand das Forschungsteam Hinweise auf unerwünschte Wirkungen von Naloxon auf die Kardiomyozyten. Die Funktion der Skelettmuskulatur wurde mithilfe von Cantilevern untersucht, um elektrische Stimulation zu dokumentieren. Cantilevern sind eigens konstruierte Mikroelektro-mechanische Freischwinger-Systeme. Die enzymatische Funktion der Hepatozyten wurde mittels eines CYP3A4-Assays bestimmt.
Das MPS-System konnte erfolgreich eine Opioid-Überdosierung, in diesem Fall mit Methadon, sowie eine "Rettung" mit Naloxon nachweisen, was durch die Aktivität der neuronalen Komponente belegt wurde. Zusätzlich zur Wirksamkeit konnte die Multi-Organ-Plattform potenzielle unerwünschte toxische Wirkungen von Naloxon, insbesondere in der Herzkomponente, charakterisieren.
Das hier beschriebene Modell kann zum schnellen Screening neu entwickelter Behandlungen bei Opioidüberdosierungen dienen, vor allem in Fällen, in denen Strassendrogen immer mehr mit anderen Substanzen gestreckt wurden. Zusätzlich können chronische Experimente zur Untersuchung der Langzeitwirkungen wiederholter Opioidüberdosierungen und der Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Antidots in diesen Situationen untersucht werden.
Originalpublikation:
Aakash Patel, Suruchi Poddar, Daniel Nierenberg, Stephanie Lang, Hao Wang, Camilly Pestana Pires DeMello, Julio Gamarra, Alisha Colon, Paula Kennedy, Jeffry Roles, Jules Klion, Will Bogen, Christopher Long, Xiufang Guo, Patrick Tighe, Stephan Schmidt, Michael L. Shuler, James J. Hickman (2025). Microphysiological system to address the opioid crisis: A novel multi-organ model of acute opioid overdose and recovery. Current Research in Toxicology, Volume 8, 100209, ISSN 2666-027X, https://doi.org/10.1016/j.crtox.2024.100209.
Weitere Informationen:
https://hesperosinc.com/news/
Zusätzliche Informationen:
(1) https://www.deutschlandfunk.de/fentanyl-opioide-drogen-krise-deutschland-100.html
(2) Gelbe Liste. Pharmindex (2025). Naloxon. Online abgerufen unter: https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Naloxon_21993