Samstag, 10 Juni 2023 12:40

Workshop der Europäischen Chemikalienagentur: Erster Auftakt für besseres Verständnis Empfehlung

Am 31. Mai und 1. Juni veranstaltete die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) einen zweitägigen Workshop in Helsinki, um mit verschiedenen Stakeholdern zu diskutieren, wie der Übergang zu einem tierversuchsfreien Chemikalienbewertungssystem beschleunigt werden könnte. Hauptziel des Workshops war es, sich besser zu verstehen, da alle Stakeholder unterschiedliche Perspektiven einnahmen. Derweil überlegen Forscher*innen, wie eine Ausstiegsstrategie gelingen könnte.

 

Gebäude der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki.
Foto: Wikipedia.

Erfolgreiche Bürgerinitiative
Die europäische Bürgerinitiative (EBI) „Save Cruelty-Free Cosmetics – Für ein Europa ohne Tierversuche“ mit ihren 1,2 Millionen Unterschriften hat erreicht, dass sich die Europäische Kommission inhaltlich mit den Forderungen befassen muss, den Schutz des Verbots von Tierversuchen für Kosmetika zu stärken, das EU-Chemikalienrecht umzugestalten und eine Strategie für den schrittweisen Ausstieg aus der die Verwendung von Tieren in Forschung, bei behördlichen Tests und in der Ausbildung zu erarbeiten.

EU-Strategie: Chemikalien bis 2030 sicher und nachhaltig
Nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur sollen nur für etwa 0,5 % der auf dem Markt befindlichen Chemikalien belastbare Informationen vorliegen. Die geplante EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit hat zum Ziel, Chemikalien bis 2030 sicher und nachhaltig zu produzieren und einzusetzen. Damit verbunden ist auch die gezielte Überarbeitung der Chemikalienverordnung (REACH) und der Verordnung für die Klassifizierung, Einstufung und Verpackung von Chemikalien (CLP-Verordnung). Die beiden sind die wichtigsten die Bestimmungen für die Regulation von Chemikalien.

Revision von REACH und die Arbeit der Europäischen Chemikalienagentur
Die ECHA habe die Kompetenz und sei bereit, die politischen Entscheidungsträger bei der Entwicklung geeigneter und robuster Ansätze für die Chemikalienregulierung auf der Grundlage einer verstärkten Verwendung von NAMs und schließlich der schrittweisen Abschaffung von Tierversuchen zu unterstützen, hieß es auf dem Workshop. Zunächst führt jedoch eine Novelle des Anhangs der REACH-Verordnung voraussichtlich zunächst einmal zu mehr Tierversuchen, auch wenn einige Testrichtlinien gestrichen werden sollen, wie auf Haut-, Augenreizung oder Hautsensibilisierung. Dagegen sollen zusätzliche Tiertests hinzukommen, vor allem Hormonwirksamkeitsuntersuchungen und solche auf Immun- und Entwicklungsneurotoxizität, wie der Anfang Juni veröffentlichte ECHA-Bericht bestätigt.(1)
Laut ECHA müssten zwei Schlüsselfragen geklärt werden, um zu einem vollständigen Ersatz von Tierversuchen zu kommen: Wie kann ein neuer, tierversuchsfreier Ansatz die wichtigsten schädlichen Wirkungen und Krankheiten abdecken, die für die Gesellschaft von Belang sind? Und wie lässt sich ein ähnliches oder besseres Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt gewährleisten?

Zur Verstärkung der Anstrengung für tierfreie Methoden will die ECHA die Kooperation innerhalb und außerhalb Europas über Plattformen wie die EPAA und die APCRA verstärken, sich stärker in wissenschaftliche Projekte wie z.B. ASPIS oder PARC einbringen und die internen Kapazitäten erweitern.

Parallel: Neue tierversuchsfreie Konzeption
Erste Ideen liefern möglicherweise Elisabeth Berggren und Andrew Worth vom Joint Research Center der Europäischen Kommission.(2) Das Wissenschaftsteam hat ein neues Regulationskonzept für die Sicherheitsbewertung und das Sicherheitsmanagement von Chemikalien vorgeschlagen. Es basiert vor allem auf der Anwendung neuer tierversuchsfreien Methoden, genannt New Approach Methodologies (NAMs). NAMs sollen für die Feststellung der Wirksamkeit und Bedenklichkeit (Toxikodynamik) von Chemikalien sowie eine Verstoffwechselung, Verweildauer und Anhäufung im Körper (Toxikokinetik) verwendet werden. So können Chemikalien ach ihrem Gefährdungsgrad klassifiziert werden. Nach diesem Konzept sollen die rechtlichen Anforderungen an die neuen Methoden angepasst werden und nicht umgekehrt. Das neue Sicherheitsbewertungssystem soll auf alle Stoffe anwendbar sein; das Schutzniveau soll dem der derzeit geltenden Rechtsvorschriften auf Basis von Tierversuchen vergleichbar sein. Besonders besorgniserregende Substanzen können dann verboten, mittelmäßig bedenkliche eingeschränkt und wenig Besorgnis-erregende freigegeben werden. Während der Umsetzungszeit dieser Konzeption würden Tierversuche Schritt für Schritt reduziert werden.

NAMs in Teststrategien integrieren, wenn sich lohnt
Jedoch würde nicht jede tierfreie Methode auch zur Anwendung kommen: So könne zum Beispiel aus einer Batterie tierfreier Einzeltests auf Entwicklungsneurotoxizität nur die Methoden ausgewählt und zu bereits anerkannten Verfahren hinzugefügt werden, wenn sie einen eindeutigen Mehrwert für die Gesamtbewertung bieten, und nicht die gesamte Teststrategie, die von Wissenschaftler*innen und der EFSA in jahrelanger Arbeit entwickelt worden ist.

(1) European Chemicals Agency (20239: The use of alternatives to testing on animals for the REACH Regulation. Fifth report under Article 117(3) of the REACH Regulation, June 2023. https://echa.europa.eu/animal-testing-under-reach
(2) Berggren E, Worth AP. Towards a future regulatory framework for chemicals in the European Union - Chemicals 2.0. Regul Toxicol Pharmacol. 2023 Jun 12;142:105431. doi: 10.1016/j.yrtph.2023.105431. Epub ahead of print. PMID: 37315707.