Mittwoch, 28 August 2024 16:16

Seltene Erkrankungen: Wichtige Erkenntnisse zum Cockayne-Syndrom in vitro Empfehlung

Ein deutsch-schweizerisches Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Ellen Fritsche, Leiterin des Swiss Centre for Applied Human Toxicology (SCAHT), hat Nervenzellen von Patienten, die unter dem seltenen Cockayne-Sydrom B leiden, untersucht und wichtige Anhaltspunkte über die Ursachen der Krankheitsphänomene Mikrozephalie, geistige Behinderung und Demyelinisierung gewonnen.


Das Cockayne-Syndrom, ist eine sehr seltene autosomal-rezessive Erbkrankheit, die sich durch ein breites Spektrum klinischer Manifestationen wie Neurodegeneration, vorzeitige Alterung, Entwicklungsstörungen, Lichtempfindlichkeit, Kleinwuchs und andere Symptome äußert. Die Anzahl der Neuerkrankungen pro Jahr (Jahresinzidenz) in europäischen Ländern liegt nahe einer Person auf 200.000 Einwohner(1). Bei der großen Mehrheit der Patienten liegen Mutationen im Cockayne-Protein B vor(2). Das Cockayne-Syndrom B (CSB) kann, durch noch unbekannte Mechanismen ausgelöst, das Gehirn betreffen, wo es sich klinisch durch Mikrozephalie, geistige Behinderung und Demyelinisierung äußert.

Baby mit Mikrocephalie, einer ernsthaften Behinderung.
Grafik: Centers for Disease Control and Prevention. Wikipedia.


Für ihre Untersuchungen setzte das ForscherInnen-Team dreidimensionale Hirnsphäroide ein - kugelförmige Gebilde, die sie aus menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSC) von CSB-Patienten entwickelt hatten. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass der Cockayne Protein B-Mangel einerseits zu einer gestörten Zellmigration aufgrund einer defekten Autophagie als Erklärung für die klinische Mikrozephalie führte, anderseits die geistige Behinderung durch eine veränderte neuronale Netzwerkfunktionalität und Neurotransmitter-GABA-Spiegel verursacht werden kann, was auf einen gestörten GABA-Schalter hindeutet, der wahrscheinlich die Bildung von Hirnschaltkreisen beeinträchtigt. Hinzu kommt eine gestörte Reifung der Oligodendrozyten als mögliche Ursache für die bei Kindern mit CSB beobachtete Demyelinisierung. Die meisten Nervenfasern sind bei gesunden Menschen von einem vielschichtigen fetthaltigen Mantel (Lipoprotein) umgeben, der Myelinschicht. Dies ermöglicht, Nervensignale (elektrische Impulse) schnell und exakt entlang der Nervenfaser weiterzuleiten. Bei einer Zerstörung des Myelins der Nervenzellen können die Impulse nicht mehr richtig weitergeleitet werden(3).

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten zudem, dass die gestörte Migration sowie die Oligodendrozyten-Reifung durch pharmakologische HDAC-Hemmung teilweise wiederhergestellt werden konnten.

Originalpublikation:
Kapr J, Scharkin I, Ramachandran H, Westhoff P, Pollet M, Dangeleit S, Brockerhoff G, Rossi A, Koch K, Krutmann J & Fritsche E. (2024).  HiPSC-derived 3D neural models reveal neurodevelopmental pathomechanisms of the Cockayne Syndrome B. Cell Mol Life Sci. 2024 Aug 23;81(1):368. doi: 10.1007/s00018-024-05406-w. PMID: 39179905; PMCID: PMC11343962.

Weitere Informationen zum Thema Cockayne Syndrom B:
(1) https://www.orpha.net/de/disease/detail/191

(2) Spyropoulou Z, Papaspyropoulos A, Lagopati N, Myrianthopoulos V, Georgakilas AG, Fousteri M, Kotsinas A, Gorgoulis VG. Cockayne Syndrome Group B (CSB) (2021). The Regulatory Framework Governing the Multifunctional Protein and Its Plausible Role in Cancer. Cells. 2021 Apr 10;10(4):866. doi: 10.3390/cells10040866. PMID: 33920220; PMCID: PMC8068816.

(3) https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/st%C3%B6rungen-der-hirn-r%C3%BCckenmarks-und-nervenfunktion/multiple-sklerose-ms-und-verwandte-st%C3%B6rungen/%C3%BCberblick-%C3%BCber-demyelinisierende-erkrankungen